Therapeutischer Pneumothorax


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Der therapeutische Pneumothorax

 

Dr Mario TADDEI

Spécialiste FMH Médecine Interne

spéc.  Pneumologie

Chemin des Chenevières 34

CH -2533 Evilard (C.ton Berne)

 

Einleitung

Bis zur Entdeckung der antituberkulösen Medikamente  (Streptomyzin, WAKSMANN 1944,  PAS = Para-Amino-Salizylsäure, LEHMANN 1946  und Isoniazid, PROWAZEK et SELIKOFF 1952) bestand die Therapie der Tuberkulose aus strikter Bettruhe im Sanatorium, bei kavitärer Tuberkulose (Phtisis) ergänzt durch den therapeutischen Pneumothorax (PNX).

 

Carlo Forlanini hatte beobachtet, dass Kranke, deren Kaverne spontan in den Pleuraraum rupturierte, paradoxerweise gelegentlich einen guten Verlauf hatten, bis hin zur  Schliessung der Kaverne.

 

Er hatte die für seine Zeit (1882) geniale Idee, einen künstlichen Pneumothorax anzulegen, um die  betroffene Lunge stillzulegen und hoffte, dasselbe Resultat zu erreichen, nämlich die Wende zu einem guten Verlauf. 1882 war übrigens das Jahr, in dem Robert Koch den später Mycobakterium tuberculosis genannten Erreger der Tuberkulose entdeckte.  Anfänglich wurde vermutet, dass der Pneumothorax die Lunge immobilisierte wie ein Gips das gebrochene Glied. Ab Anfang 1912 (Ascoli) wurde die Retraktionskraft der Lunge für die Wirksamkeit der Behandlung verantwortlich gemacht.

 

Ein therapeutischer Pneumothorax konnte einseitig oder beidseitig angelegt werden.  In den Anfängen dieser Therapieform beschränkte man sich allerdings auf den einseitigen therapeutischen Pneumothorax. Als Indikation für den therapeutischen Pneumothorax galt eine kavitäre und bazilläre (offene) tuberkulöse Läsion. Gelegentlich auch nach Punktion einer Pleuritis exsudativa.

 

Technik

Mittels Geräten, die im Verlaufe der Zeit verbessert wurden (MORELLI, CARPI, KüSS modifiziert nach LESQUIN, STEINER) wurde eine bestimmte Menge Gas in den Pleuraraum eingeführt , wobei anfänglich der langsam resorbierte Stickstoff, später gefilterte Luft verwendet wurde (siehe Fotos). Um die Lunge nicht zu verletzen, wurde für die erste Insufflation der Troikar nach KüSS verwendet, der zwei Mandrins hatte: einen spitzen für die Durchdringung der Haut und einen stumpfen für die Perforation der Pleura parietalis und das Eindringen in den Pleuraraum.

 

Der Kranke lag auf der gesunden Seite, mit einem Keilkissen unter dem Rippenthorax, den Arm angehoben mit der Hand am Hinterkopf, um die Axillarregion für den Eingriff zur freien Verfügung zu haben. Man punktierte den 4.ten, 5.ten oder 6.te Interkostalraum in der mittleren Axillarlinie. Ein brüsker Ausschlag des Manometers zeigte, dass das Instrument den Pleuraraum erreicht hatte. In der Regel war der Druck im Inspirium negativ (ca. – 6 cm Wasser) und im Exspirium um 0 cm.

 

Je nach verwendetem Apparat, zum Beispiel dem Morelli, liess man vom Thoraxraum ca. 2/3 eines 500ml Luft enthaltenden Kautschuckballons aspirieren, also ca. 350-400 ml. Mit den Kolbenpumpen insufflierte man ebenfalls 300-400 ml. Eine zweite Insufflation erfolgte am nächsten oder übernächsten Tag. Die Intervalle wurden in der Folge verlängert (z.B. 3,6,10,15 Tage),  wobei während der ersten 3 Monate wöchentliche, danach durchschnittlich14 tägliche Insufflationen die Regel waren. Es wurde jeweils nur die Menge insuffliert, die eben genügte den Druck im Exspirium um 0 cm  und im Inspirium im negativen Bereich zu halten. Diese Druckwerte garantierten eine optimale Rest-Expansion und Rest-Ventilation der Lunge. Sehr sorgfältig wurde die Situation vor und nach Insufflation unter dem Durchleuchtungsschirm verfolgt, wöchentlich und wohlverstanden ohne Bildverstärker! Im nachhinein bestürzt einen die Strahlendosis, der diese Patienten ausgesetzt wurden! Meines Wissens ist die Gesamtstrahlendosis, der diese Patienten ausgesetzt wurden, nie wissenschaftlich erhoben worden. An  der 20. Internationalen Tuberkulose-Konferenz berichtete MYRDEN (Halifax, Nova Scotia), dass 7.3% der Frauen mit therapeutischem Pneumothorax Brustlkrebs entwickelten, verglichen mit 0.83% der Patientinnen einer Kontrollgruppe.

 

Nach jeder Insufflation wurden sowohl die intrapleuralen Drucke vor und nach Insufflation wie die Menge insufflierten Gases in der Patientendokumentation einerseits  und in einem patienteneigenen  Heft anderseits protokolliert. In grösseren Abständen wurde eine Skizze des radiologischen Befundes eingezeichnet.

 

Beispiel eines Protokolls:

  vor nach
13.02.1951 PNX links -10 -4 (= inspir.)
  350 cc  
  -5 0 (= expir.)
03.03.1951 PNX links -12 -4
  400 cc  
  -5 0
20.03.1951 PNX links -10 -4
  400 cc  
  -5 0

Wenn der therapeutische Pneumothorax wegen Briden nur unvollständig angelegt werden konnte, wurde eine endoskopische Adhäsiolyse durchgeführt (Pleuroskopie nach JAKOBAEUS).

 

Der therapeutische Pneumothorax, ob einseitig oder beidseitig, wurde während 3 - 5 Jahren nachgefüllt. Eine Regel ging dahin, dass die Pneumothoraxtherapie abgebrochen wurde nach 3-4 Jahren Wirksamkeit. Wirksamkeit bedeutete Schliessung der Kaverne und Sputumnegativität.

 

Komplikationen

 

Komplikationen der Punktion:

  • Verletzung des intercostalen Gefäss- Nervenbündels bedingten  Schmerzen, kleinere Blutungen am Punktionort, Thoraxwandhämatom.  In der  Regel bescheidene Komplikationen.
  • Verletzung der Lunge: häufig ohne erkennbare Folgen oder beschränkt auf blutiges Sputum. Seltenerweise Spannungspneumothorax.
  • Vagale Reaktion.
  • Luftembolie mit zentralnervösen Symptomen. In der Regel vermeidbar wenn Insufflation nur bei negativen intrapleuralen Drucken erfolgte.
  • Hautemphysem

Starke Dyspnoe

  • Häufig bedingt durch Hernierung des Mediastinums. Vermeidbar durch Reduktion der insufflierten Gasmenge.

Tachykardie, Herzklopfen wurden abwartend/beobachtend angegangen

 

Andere Komplikationen

  • Pleuritis
  • Empyem

Unerwünschte Spätfolgen waren ferner die pleuralen Synechien, pleurale (Pachypleuritis) und pulmonale Fibrosen und restriktive Funktionsstörungen, letzteres vor allem beim bilateralen therapeutischen Pneumothorax. Wo der therapeutische Pneumothorax wegen Verklebung des Pleuraraumes nicht möglich war, wurde gelegentlich ein Pneumoperitoneum angelegt, um die Bewegung des Zwerchfells zu begrenzen und dadurch die Lunge ruhig zu stellen.

 

Zusammenfassung

 

Die Pflege des therapeutischen Pneumothorax war die Hauptaktivität des Phtisiologen zu einem Zeitpunkt, als man noch an der Tuberkulose starb, und als man den Begriff „Pneumologe“ noch nicht kannte. Später brachten chirurgische Massnahmen Erfolge in der Behandlung der Tuberkulose: Thorakoplastik, extrapleuraler Pneumothorax, extrafasciale Apikolyse mit und ohne Plombage, Oleothorax, Phrenickolyse, intrakavitäre Drainage, Phrenikolyse, intrakavitäre Drainage, Pneumoektomie und Lobektomie.

 

Die antituberkulösen Medikamente  schliesslich machten aus der Tuberkulose eine heilbare Krankheit, die dadurch viel von ihrem Schrecken verlor.

Ausser Lobektomie und Segmentektomie sind diese Therapien verlassen und Teil der Medizingeschichte geworden.

 

Literatur:

 

Bariéty M. et Brouet G.: Phtisiologie du médecin praticien.  Masson, Paris , 1947
Bastai P. et Scarpa A.: Clinica Tisiologica. Lego, Vicenza, 1950

Omodei-Zorini A.: Corso di Tisiologia. V. Idelson, Napoli 1950

Myrden,  Halifax, Nova Scotia. Actes de la XX Conférence internationale de la Tuberculose 1960

Larbaoui D.: Chimiothérapie antituberculeuse. Encyclopédie Médico-Chirurgicale, Pneomologie, Paris, 60150A35, 1986

 

Geschrieben im Frühjahr 2006

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